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Die Zellentür Gottfried Kinkels

Die Eichentür ist weder schön noch aufwendig gearbeitet, stammt nicht aus unvordenklichen Zeiten, ihr Materialwert ist übersichtlich, keine Künstlerhand hat sich auf ihr verewigt. Zwei schwere Riegel, ein Schloss sowie ein Türspion weisen sie als Gefängnistür aus. Neben einer Inventarnummer ist die Inschrift »Zuchthaus Spandau. Von der Kinkel-Zelle« auf einem Beschlag angebracht. Doch die Tür berichtet von echter Freundschaft und wahrem Heldenmut ebenso, wie von gescheiterten Hoffnungen, glücklichem Entkommen, Abenteuer und Revolutionsromantik, aber auch von der schnöden Prosa der Verhältnisse.

 
Türrahmen und Vorderseite der Zellentür Gottfried Kinkels, Anfang 19. Jahrhundert. Eichenholz, Schmiedearbeiten, 190 x 75 cm. Stadtgeschichtliches Museum Spandau, Dauerleihgabe der Stiftung Stadtmuseum

1848: In Baden, Bayern und anderen Staaten des Deutschen Bundes kommt es zu Demonstrationen und revolutionären Erhebungen, in Berlin werden Barrikaden errichtet, die blutigen Ereignisse der Märztage sind bekannt. Auch in den Rheinlanden, seit 1822 preußische Provinz, ist es zum Aufruhr gekommen. Eine Gallionsfigur der demokratischen Bewegung ist hier der Abgeordnete des Preußischen Landtags, der Dichter und Redakteur der »Bonner Zeitung«, Johann Gottfried Kinkel (1815–82). Gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Komponistin und Klaviervirtuosin Johanna Kinkel, bildet er den Mittelpunkt des kulturellen Lebens in Bonn.

Nach verheißungsvollem Auftakt siegt im Verlaufe des Jahres 1849 die Gegenrevolution. In den Rheinlanden, in Sachsen, in der Pfalz und in Baden kommt es zu Aufständen, die errungenen Freiheiten zu retten. Als Revolutionssoldat der badisch-pfälzischen Armee finden wir Gottfried Kinkel im Mai 1849 wieder. Auch sein um 14 Jahre jüngerer Freund und Schüler Carl Schurz dient dort als Adjutant.

Von Bayern zu Hilfe gerufen stellt Preußen eine 20.000 Mann starke Armee auf, die Mitte Juni 1849 in die Pfalz einmarschiert und die Aufständischen über den Rhein zurückdrängt. Beim badischen Ort Waghäusel kommt es zur Schlacht – die Reste des Revolutionsheeres ziehen sich in die nahegelegene Bundesfestung Rastatt zurück. Am 23. Juli 1849 ergeben sich die Revolutionäre, Gottfried Kinkel wird wenig später gefangengenommen. Carl Schurz rettet sich in die Schweiz, er entkam durch einen Abwassergraben aus der eroberten Festung.

Der Fall Rastatts markiert den Endpunkt der 1848er-Revolution – es folgt das Strafgericht der Sieger. Auch Kinkel soll zum Tode verurteilt werden. Überall in Deutschland bilden sich Komitees, um seiner Frau und seinen Kindern zu helfen oder um ein milderes Urteil im bevorstehenden Prozess zu erwirken. Eintausend Bonner Bürger unterschreiben eine Bittschrift an Friedrich Wilhelm IV., Ernst Moritz Arndt und Bettine von Arnim richten Gnadengesuche an ihn. Der preußische Monarch lässt sich jedoch nicht erweichen. Die lebenslange Festungshaft, vom preußischen Kriegsgericht am 4. August 1849 verhängt, wandelt er in lebenslange Zuchthausstrafe um: ein unmissverständliches Signal, alle demokratischen Aufrührer wie »gemeine Verbrecher« zu behandeln.

Im Oktober 1849 wird Kinkel in die Strafanstalt Naugard in Pommern überführt, am 11. Mai 1850 schließlich ins Spandauer Zuchthaus gebracht. Es ist im ehemaligen Lynarschen Schloss eingerichtet, im Herzen der Altstadt. Am 9. Juni 1850 schreibt Kinkel an seine Frau: »Ich kann nach nunmehr 4 hier verlebten Wochen dir und mir nicht abläugnen, dass meine hiesige Haft enger und freudloser ist, als die zu Naugard. Seit dem 4. Mai, […], habe ich die mütterliche Erde nicht mehr betreten, den Himmel im Zenith nicht mehr erblickt. Nur ½ Stunde täglich […], gehe ich auf einem langen Corridor […] auf und ab: die übrige Zeit, also 49/50 der Lebensdauer, verbringe ich in steter Einsamkeit auf meiner Zelle.«¹

Die Haftbedingungen drängen zum Handeln, Johanna Kinkel bittet Carl Schurz um Hilfe. Dieser begibt sich vom sicheren Zürich aus unter falschem Namen in die Höhle des Löwen. Er wird steckbrieflich gesucht, muss bei Ergreifung mit dem Todesurteil rechnen. Über Bonn und Braunschweig erreicht Schurz im August 1850 Berlin. Sein Plan ist einfach: Ein Aufseher hat sich gegen finanzielle Unterstützung seiner Familie erboten, die Gefängnisschlüssel zu stehlen. Doch die Befreiungsaktion scheitert, weil der Gefängnisdirektor die Schlüssel wider Erwarten mit sich genommen hat. Der zweite Fluchtversuch ist erfolgreich. In der Nacht vom 6. zum 7. November 1850 kann sich Gottfried Kinkel mit einem eingeschmuggelten Seil aus der Dachluke der Zelle herunterlassen. Helfer bringen ihn und Schurz außer Landes. Ende November erreichen sie England, während sich im Rheinland die Nachricht der spektakulären Flucht verbreitet: »Der Enthusiasmus für Euch beiden ist grenzenlos«, schreibt Johanna Kinkel am 4. Dezember 1850, »die hellen Tränen stürzen aus den Augen der Männer, wenn sie von Carls Heldentat reden, […]. Jeder wünscht sich einen solchen Sohn.«²

Bald nach der Flucht trennen sich beider Wege: Gottfried Kinkel geht ins Schweizer Exil, er wird in Zürich einen der ersten Lehrstühle im Fach Kunstgeschichte innehaben. Carl Schurz dagegen macht in Amerika sein Glück: Er kämpft gegen die Sklaverei, wird enger Vertrauter Lincolns, Nordstaatengeneral im Bürgerkrieg, Mitglied des Senats und bekleidet schließlich 1877–81 das Amt des Innenministers der Vereinigten Staaten.

Als man das Spandauer Zuchthaus 1898 abreißt, gelangt Kinkels Zellentür (und die heute verschollene Dachluke) in Museumsbesitz. Das im Stadtgeschichtlichen Museum Spandau ausgestellte Objekt ist ein rares Zeugnis von Spandaus verschwundener Mitte, dem einstigen Lynarschen Schloss in der Jüdenstraße. Als »Devotionalie« der 1848er-Demokratie ist die Tür zugleich eine Pforte zum großen Kino des 19. Jahrhunderts.

Eckhard Gruber

Der Autor ist Journalist und Verleger in Berlin. Der Artikel erschien im MuseumsJournal 1/2016.
 

¹ Liebe treue Johanna! Liebster Gottit! Der Briefwechsel zwischen Gottfried und Johanna Kinkel 1840–1858, Bd. 2, bearbeitet von Monica Klaus, Bonn 2008, Brief 506,  S. 1006.
² Ebd., S. 1086.

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