Menzel höchstselbst
Die kleine aquarellierte Bleistiftzeichnung aus dem Kupferstichkabinett zeigt den Maler Adolph Menzel in ungewöhnlicher Pose. Der Künstler stellt sich selbst in einem abrupten Bewegungsmotiv dar. Mit mehreren Pinseln in der Hand und einem im Mund scheint er über das Papier zu schweben.

Die Pose der Figur auf dieser kleinen Zeichnung aus dem Berliner Kupferstichkabinett ist für Adolph Menzel, der sich hier selbst darstellt, einigermaßen verblüffend. Der Künstler zeigt sich mit erhobenen Armen in einem abrupten Bewegungsmotiv. Im Mund hält er quer einen, in der linken Hand gleich mehrere Pinsel zwischen den flüchtig gezeichneten Fingern. Die Hand wird von einer rechteckigen Form, vielleicht einer Palette, hinterfangen. Die ganze Figur ist mit Bleistiften verschiedener Stärken rasch aufs Blatt geworfen. Um sie herum wurden unterschiedliche Farbabstriche wie zufällig, jedoch die Figur kaum überlappend, aufgetragen. Die obere rechte Blattecke ist abgeschnitten.
Was ist das? Eine vorbereitende Studie, eine besondere Art der Selbstdarstellung, eine bloße Spielerei oder gar das Zufallsprodukt eines Künstlers, von dem überliefert ist, dass er alles, wo er stand und ging, gezeichnet hat?
Die kleine Zeichnung hat von allem etwas und sie hat mit Friedrich II. zu tun. Menzel hat sich mit dem »Alten Fritz« nicht erst in Zusammenhang mit der Entstehung seiner berühmten Friedrichbilder der Jahre 1749–61 beschäftigt. 1839 erhielt er einen umfangreichen Illustrationsauftrag für die von Franz Kugler verfasste »Geschichte Friedrichs des Großen«. Darin befindet sich die Beschreibung der Rheinsberger Jahre (1736–40) des Kronprinzen – jener Zeit nach dem schweren Zerwürfnis mit seinem Vater, von der Friedrich II. rückblickend sagte, sie sei die schönste seines Lebens gewesen – die Darstellung einer Episode, die zu der kleinen Bleistiftzeichnung führt. Die Illustration zeigt den seit 1710 am preußischen Hof tätigen Maler Antoine Pesne auf einem Malgerüst im Rheinsberger Ballsaal bei der Erklärung seines gerade entstehenden Plafondgemäldes »Apoll vertreibt die Finsternis«.

Diese Szene hat Menzel später noch einmal in einer 1861 datierten Gouache dar gestellt, die von der Forschung zu Recht als »Allegorie der Malerei«, als »Darstellung künstlerischer Neugierde« und als »Manifest« seiner Kunst gedeutet wird. Hier verändert Menzel die Szenerie leicht. Er zeigt, wie Kronprinz Friedrich unbemerkt auf das Malgerüst steigt, auf dessen oberster Etage sein Hofmaler gerade mit großer Geste einem weiblichen Modell eine bestimmte Pose vorführt. Es ist eben jene Körperhaltung, in der sich Menzel auf der kleinen Bleistiftzeichnung wiedergibt.
Bei der Zeichnung handelt es sich demnach um eine vorbereitende Skizze für die Gouache. Aber da Menzel sich selbst in der Pose des damaligen Hofmalers darstellt, ist sie auch eine Art von Selbstdarstellung des Künstlers, der sich als der »neue Pesne« fühlte. Zum Zeitpunkt der Entstehung der Skizze 1861 gab König Wilhelm I. Menzel, dem Maler seines berühmten Urahnen Friedrich II., den Auftrag, das offizielle Bild seiner Krönung in Königsberg zu schaffen. Dadurch kam es zu einer schrittweisen Wertschätzung des Künstlers am Hof.
Das ist der historische Hintergrund des Blattes. Aber es spiegelt sich darin noch eine weitere, eine persönliche Dimension. Menzel war kleinwüchsig, kaum 140 cm groß; zeitlebens blieb er unverheiratet. Er nannte sich selbst einen »Zaungast des Lebens«. So hat er stets einen Standpunkt der Überschau gesucht und eingenommen. Dies ist ganz praktisch zu verstehen: Menzel stieg häufig auf Tische und Stühle, um seine Motive besser erfassen zu können. Und das lässt sich auch auf seine Kunst übertragen: Virtuose Perspektiven und besondere Blickwinkel spielen in seinen Bildfindungen stets eine große Rolle. Und so sind auch die Figuren in der Gouache »Kronprinz Friedrich besucht Pesne auf dem Malgerüst in Rheinsberg«, mehr noch in unserer Zeichnung, in riskanter Perspektive wiedergegeben. In beiden Fällen geht der Blick des Betrachters nach oben, die Figuren scheinen im Raum zu schweben, ihre Füße sieht man nicht. Die Tatsache, dass dies auch auf der Zeichnung der Fall ist, spricht dafür, dass Menzel sich bei seinem Selbstbildnis genau darüber im Klaren war, wie Pesne auf dem Rheinsberger Gerüst gesehen werden sollte. Menzels Vorstellungsvermögen ist ohnehin verblüffend, bei seinen späteren Werken nach den Friedrichbildern kann er gänzlich auf Kompositionsentwürfe verzichten, und dennoch findet jede einzeln studierte Figur ihren angemessenen Platz im Bildorganismus.
Allerdings ist die Zeichnung auch eine Spielerei, schließlich übersteigert Menzel hier die Pose Pesnes. Doch auch dies, wie alles in der Kunst Menzels, hat einen Bezug zur Wirklichkeit: Die Geste, einen Stift beim Zeichnen im Mund zu halten, ist auf zeitgenössischen Fotografien des Künstlers überliefert. Und auch Pesnes Stuhl auf dem Malgerüst ist in Wahrheit »Menzels Stuhl«, der in der Ausstellung »Ich. Menzel« im Stadtmuseum zu sehen ist. Ein Zufallsprodukt ist die kleine Zeichnung sicher nicht. Vielmehr gehört sie zu einer Reihe von Bleistiftstudien mit Farbabwischern, von denen sich einige aus dem Familienbesitz von Menzels Schwester erhalten haben, die jüngst im Kunsthandel versteigert worden sind.
Sabine Weisheit