Pinselschrank, um 1862
Mitte Museum
Ein kleiner Schubladenschrank zeugt von 130 Jahren Stadtgeschichte im Berliner Norden – und vom Handwerk des Pinselmachens. Er war Teil der Ladeneinrichtung der Farbenhandlung Hermann Harder in Berlin-Wedding. Sein Inhalt: mehrere Dutzend verschiedenartige Haarpinsel, die neu anmuten, vermutlich aber so alt sind wie der Schrank, der sie verwahrt. Sie wurden auf eine Weise gefertigt, wie es die Lexika des 18. Jahrhunderts als gängige Technik beschreiben: Büschel von Tierhaar wurden mit Garn umwickelt und in Federkiele montiert. Die kleinen Quasten wurden von den Kunden auf die Pinselstiele aufgesetzt. Marderschlepper, Rindshaarpinsel oder Fischpinsel in doppelten Kielen lauten die Namen der zierlichen Objekte. Möglicherweise ausgelöst durch eine neue, industrialisierte Form der Produktion brach der Absatz der Artikel offenbar jäh ab. Warum sonst sollten die Pinsel so zahlreich im Schränkchen verblieben sein, das sie seither wie eine Zeitkapsel bewahrt?
Das sparsam dekorierte Möbel geht auf den wirtschaftlichen Aufschwung am Berliner Gesundbrunnen in der Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Die Eingemeindung des Stadtteils in Berlin 1861 löste einen kleinen Bauboom aus. Im Bereich der Kreuzung von Badstraße und Prinzenallee entstand eine vorstädtische Bebauung mit zwei- und dreistöckigen Häusern, darunter das Haus Badstraße 28, das die Farbenhandlung Hermann Harder im Jahr 1862 bezog. Nach der Maueröffnung wuchsen die Gewerbemieten stark an. Im Jahr 1992 musste die Farbenhandlung schließen, und der Pinselschrank kam ins Mitte Museum. Die Branche wird heute von Baumärkten dominiert, in den Räumen der Farbenhandlung befindet sich eine Spielothek. Gentrifizierung im Berliner Norden – auch davon zeugt die Geschichte dieses Schranks – ist keineswegs ein neues Phänomen.
Ein Beitrag von Sigrid Schulz.
Bildnachweis: Pinselschrank, ca. 1862. Holz, lackiert, 39,5x34x45 cm. Mitte Museum. Foto: Friedhelm Hoffmann