Das Ewige Licht – mehr als ein Objekt
Vor gut 30 Jahren, an den so historischen Daten 8., 9. und 10. November 1989, berichteten nur wenige Zeitungen in Ost- und West-Berlin von einem Fund in der Ruine der Neuen Synagoge Berlin in der Oranienburger Straße. Seit 1988 war man dort im Auftrag der vom DDR-Ministerrat gegründeten Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum mit der Beseitigung von Trümmern, mit baulicher Stabilisierung und denkmalpflegerischen Konzeptionen beschäftigt, um die erhalten gebliebenen Gebäudeteile der Synagoge zu restaurieren. Einst stand hier die die größte Synagoge Deutschlands – Stolz der Berliner Jüdischen Gemeinde und ein architektonisches Zeugnis für das Streben deutscher Juden nach einer deutsch-jüdischen Bindestrichexistenz, nach einem Ausdruck des Selbstverständnisses, in der deutschen Gesellschaft angekommen zu sein und Jüdinnen bzw. Juden bleiben zu können.
Bauarbeiter stießen beim Anbohren der etwa ein Meter hohen Betonschicht, die das Erdgeschoss teilweise bedeckte, auf einen Metallgegenstand. Sie hielten inne, hatten das Teil kaum beschädigt. Der Fund war sensationell, ging allerdings in diesen revolutionären Zeiten unter. Es handelte sich um das »Ewige Licht«, das mutmaßlich bereits 1866 bei der Einweihung der Neuen Synagoge leuchtete. Dies lässt sich an der Stifterinschrift erkennen: »Julius und Lydia Jacoby 1866, Adolph und Cäcilie Jacoby 5626« – wobei letztere Zahl das hebräische Datum markiert.
Licht ist ein wichtiges Motiv im Judentum. Das »Ewige Licht« (hebräisch: Ner Tamid) geht auf Gottes Gebot an Moses zurück, im Bundeszelt, das auf der Wüstenwanderung von Ägypten ins Gelobte Land die Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten barg, ein immerwährendes Licht leuchten zu lassen. Schon damals, wie später zu Zeiten des Jerusalemer Tempels, wurde dieses Gebot mit der Menora, dem siebenarmigen Leuchter, erfüllt. Daran erinnert der Ner Tamid in den als Tempel-Nachfolge entstandenen Synagogen. Weder Form noch Platz in der Synagoge sind vorgegeben. In der Neuen Synagoge in Berlin hing er an Ketten vor dem mit prächtigen Vorhängen bedeckten Toraschrank und zwei angedeuteten Gesetzestafeln. Vermutlich wurde das Licht des Ner Tamid zunächst mit Gas, später elektrisch zum Leuchten gebracht.
Seit Jahrhunderten ist eine vielfache Symbolik mit dem Ner Tamid verknüpft: Er verleiht der Tora, als überlieferter Lehre und zentralem Inhalt des Judentums, das Licht. Und es gibt seine Deutung als spirituelles Leuchten, als Symbol für die Präsenz Gottes und als Versinnbildlichung der Seele. Umso eindrücklicher ist es, was das Gehäuse dieses Berliner Ner Tamid alles überdauerte. Während der Novemberpogrome 1938 hatten SA-Leute die Synagoge geschändet und bereits Feuer gelegt, als Polizisten vom Revier Hackescher Markt die Brandstifter vertrieben. Dass die Synagoge inklusive fast aller rituellen Objekte gerettet wurde, war also kein Wunder. Es war dem couragierten Eingreifen einzelner zu verdanken, wie es nur an wenigen Orten stattfand. Als Monate später der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Heinrich Stahl und der Gemeinde-Rabbiner Max Nussbaum die Synagoge betraten, trauten sie ihren Augen nicht:
»Ich hatte Herzklopfen: Nicht nur betrat ich ein entweihtes Gotteshaus inmitten einer modernen europäischen Großstadt, sondern ich betrat die Szene von 2000 Jahren Pogromen und Brandstiftungen, und ein Sturm der Gefühle von völliger Verzweiflung bis hin zu wütendem Trotz überwältigte mich fast. […] Wir fanden die Bänke angesengt, die Wände geschwärzt von Feuer und Ruß – ein totes Heiligtum. So dachten wir, bis wir weitergingen. […] Über dem Schrein gewahrten wir unser eigenes Wunder, das des 20. Jahrhunderts: Das ewige Licht brannte, es hatte während des 9. und 10. November gebrannt, all die Monate hindurch. […] Es war ein unvergesslicher Anblick.« Max Nussbaum
Noch bis 1942 fanden in der Neuen Synagoge Gottesdienste statt. Als 1943 im Auftrag des Reichssippenamts eine Trümmerschutz-Betondecke eingezogen wurde, warf man zu deren Verstärkung wahllos (Kultus-)Gegenstände hinein, darunter auch den Ner Tamid. Nicht gänzlich widerlegt ist die These, dass eventuell Gefangene oder Zwangsarbeiter die Teile bewahren wollten. 1943 hatte die Gestapo im Haus neben der Synagoge ein Gefängnis errichtet, allerdings wurde die Trümmerschutzdecke wohl zuvor eingezogen. 56 Jahre überdauerten die Objekte, darunter Metallteile aus dem Lesepult der Tora, Marmorstücke und Fensterglas. Sie überstanden gemeinsam mit dem Ner Tamid die Bomben, die im November 1943 den Hauptraum der Synagoge in eine Ruine verwandelten, und überdauerten auch die Sprengung dieses Raums 1958. Die wiederentdeckten Objekte sind in der 2018 neu eröffneten Dauerausstellung der Neuen Synagoge ausgestellt.
Anja Siegemund
Viele haben zur Geschichte des »Ewigen Lichts« der Neuen Synagoge recherchiert. Ich danke Birgit Jerke, Chana Schütz, Diana Schulle, Hermann Simon, Karl-Friedrich Vollprecht und Barbara Welker. Dieser Artikel erschien im MuseumsJournal 1/2020.