Bunkermentalität
Manche sind Denkmäler, andere spektakuläre Kunsträume: doch ohne privates Engagement wären Erhalt und Nutzung der Berliner Schutzbauten nicht möglich.
Von den rund tausend bombensicheren von 1935 bis 1945 in Berlin erbauten Schutzanlagen sind heute nur noch einige Dutzend erhalten. Im »Bunkerbauprogramm für die Reichshauptstadt« wurden mehr als 400 genormte Bunker in der ganzen Stadt errichtet, darunter sechs Großbunker – eingebaut in alte Gasometer, Verkehrstunnel oder andere Bauten im Untergrund. Hinzu kamen viele Sonderbauprogramme, darunter für die Flaktürme zur Luftverteidigung oder Anlagen für »Mutter und Kind«. Besondere Anordnungen regelten den Bau spezieller Werkluftschutz- und Reichsbahnbunker sowie von »Sonderbauten« für Minister und Parteifunktionäre der NSDAP, Bunker für Botschaften oder Krankenhäuser. Nach Kriegsende wurde bis 1948 über die Hälfte der Bunker und Luftschutzstollen im Rahmen der Entmilitarisierung durch die Alliierten abgebaut oder gesprengt. Die Zivilbevölkerung reagierte mit Unverständnis, waren die Bunker doch häufig die einzigen noch intakten Bauten. Hier fanden Flüchtlinge oder Kälteopfer eine Bleibe. Für die Beseitigung der Stahlbetongiganten waren Tonnen an Sprengstoff nötig. Aus dieser Zeit stammt der Spruch »Der Staub vajeht, die Sonne scheint, der Bunka fracht: War ick jemeint?« Die verbliebenen West-Berliner Bunkerruinen wurden in den 1950er-Jahren weitgehend beseitigt. In Ost-Berlin dauerte es zehn Jahre länger. Mit der Verschärfung des Kalten Krieges bremsten beide Seiten die Abbruchprogramme. Die verbliebenen Bunker wollte man für den Zivilschutz nutzen. West-Berlin verfügte schließlich über 16 öffentliche Atomschutzbunker, allerdings nur für 25.224 Personen ausreichend. 2007 wurden alle Anlagen aus der Zivilschutzbindung entlassen und die meisten im Anschluss entkernt.
Text: Dietmar Arnold (Vorsitzender), Eva Westphal, Verein Berliner Unterwelten
Der Beitrag ist dem Museumsjournal 3/2024 entnommen.
Boros Bunker
Bananen, Techno, Sex und Kunst
Der 1942 fertig gestellte Reichsbunker Friedrichstraße spiegelt rund 80 Jahre bewegte Berliner Geschichte: Vom Zufluchtsort für 4000 Menschen während des Zweiten Weltkrieges und späteren Kriegsgefängnis, über Lager für Textilien und kubanische Südfrüchte zu DDR-Zeiten (was ihm den Spitznamen »Bananenbunker« einbrachte) bis hin zum härtesten Techno-Club der Stadt und zur Location für Fetisch- und S/M-Partys Anfang der 1990er-Jahre. Danach wurde es eine Weile still hinter den meterdicken Stahlbetonwänden, bis 2003 der Werbeunternehmer Christian Boros den Hochbunker kaufte. Vier Jahre dauerte der Umbau. Decken und Wände wurden entfernt, Räume vergrößert, fünf Stockwerke miteinander verbunden. Seit 2008 ist Boros’ bedeutende Sammlung der Gegenwartskunst hier in wechselnden Ausstellungen nach Voranmeldung öffentlich zugänglich. Nichtsdestotrotz bleibt der Bunker ein bedrückend aktueller Ort und mitunter werden Christian Boros und seine Frau Karen von Freunden gefragt: Können wir im Ernstfall zu euch kommen?
Feuerle Collection
An der Grenze zur Phantasie
Trotz seiner Massivität nimmt man das langgestreckte Gebäude am Halleschen Ufer mit den großen Betonquadern auf dem Dach kaum wahr. Im ehemaligen Telekommunikationsbunker sollte einst die Stelltechnikzentrale der Reichsbahn eingerichtet werden, gut gesichert vor den Bomben des Zweiten Weltkrieges, der jedoch vor Fertigstellung des Gebäudes endete. Für Menschen war die hermetische fensterlose Betonburg mit meterdicken Wänden und Stahlbetondecke nie vorgesehen. Den ehemaligen Galeristen, Kunstsammler und Asien-Fan Désiré Feuerle reizte gerade das. Schon als junger Mann interessierte er sich für Gegensätze, kuratierte Ausstellungen, in denen er neue und alte Kunst gegenüber stellte, und auch in seiner privaten Sammlung kombiniert er in jenem Bunker kaiserlich-chinesische Lack- und Steinmöbel sowie antike Khmer-Skulpturen aus Südostasien mit zeitgenössischer Fotografie und Kunst. Für sein Museum, das er 2016 in Berlin eröffnete, wollte er »einen Ort im Sinne eines ganz unglaublichen Raumes an der Grenze zu einer Phantasiewelt«, so der Sammler. Als Feuerle den hermetischen Betonklotz zum ersten Mal besichtigte, stimmte das Bauchgefühl sofort. Mit John Pawson fand er einen Architekten, der das Unmögliche möglich machte und der gleichzeitig die rohe Betonstruktur so wenig veränderte wie nötig, um die vorhandene Aura des Ortes zu bewahren. Sogar die Patina an Wänden, Decken und Böden wurde konserviert. Die Gesamtfläche von rund 7300 Quadratmetern verteilt sich auf zwei Ebenen – entsprechend groß sind die beiden Ausstellungsflächen. Feuerle überließ nichts dem Zufall. Vom Eintreten in das besondere Museum bis zum Ausgang hat er jeden Schritt bis ins Detail ausgeklügelt kuratiert. So entsteht ein Ausstellungserlebnis, das als meditatives Gesamtkunstwerk konzipiert, einer spirituellen Reise gleicht. Zu Beginn des Rundgangs stimmt der lichtlose sogenannte »Sound Room« im Untergeschoss mit im wahrsten Sinn des Wortes minimalistischen Klängen von John Cage auf alles Weitere ein. In der folgenden großen Halle werden die Skulpturen des 7. bis 13. Jahrhunderts aus dem Khmer-Reich sowie die kaiserlich-chinesischen Möbel auf hohen Podesten gefeiert und akribisch ausgeleuchtet. Sie bilden einen feinen Kontrast zum brachialen Bunker-Ambiente. Die sakrale Anmutung konterkarieren die erotischen Aktfotografien junger Frauen des Japaners Nobuyosho Araki. Es gibt weder Labels an den Kunstwerken noch Einführungstexte an den Wänden. Handys müssen am Eingang abgegeben werden. Führungen werden nicht angeboten. Stattdessen sind Experten als passive Begleiter anwesend. Wer Fragen hat, kann sie stellen, ansonsten bleibt man allein mit sich und seinen Eindrücken. Die Kunst, so die Idee, soll nicht nur betrachtet, sondern mit allen Sinnen erlebt und gespürt werden. In angemeldeten kleinen Gruppen kann man an Gong-Meditationen oder sogar einer traditionellen Incense-Zeremonie teilnehmen, bei der man an einem eigens von Pawson dafür entworfenen Tisch mit kostbaren Baumharzen beräuchert wird. Das buddhistische Ritual basiert auf einer uralten Tradition in China. Stolz betont Feuerle, dass sein Museum weltweit die erste Kunstinstitution sei, die eine solche Zeremonie als zeitgenössische Performance in das Ausstellungskonzept integriert. Auch ein unterirdischer See ist Bestandteil der Feuerle Collection. Im sogenannten »Lake Room« sieht man sich einer Wasserfläche gegenüber, die durch Spiegelungen im meterdicken Glas um ein Vielfaches größer wirkt. Wasser hat für Feuerle eine beruhigende Wirkung, die auf die Besucher ausstrahlen soll. Gleichzeitig dient der Grundwassersee der Gewinnung geothermischer Energie, die für die Wärmepumpe des Bunker-Museums genutzt wird. Nachhaltigkeit wird großgeschrieben. Nachhaltig ist ebenso der Eindruck, den der ungewöhnliche Besuch hinterlässt. Tritt man aus der spärlich ausgeleuchteten Bunkerhöhle schließlich wieder ans Tageslicht und taucht in den Lärm der vielbefahrenen Straße, wirkt die surreale Präsenz und innere Ruhe noch für ein paar Augenblicke nach, umgibt einen beinahe wie eine schützende Hülle.
Text: Anne Haun-Efremides
Berlin Story-Bunker
Anschauliche Geschichte
Der Berlin Story Bunker beherbergt die Dokumentation »Hitler – wie konnte es geschehen«. Das Gebäude mit seinen 6500 Quadratmetern Nutzfläche gehört heute zu den meistbesuchten Museen Berlins und wurde ursprünglich für 3.500 Zivilisten gebaut – am Anhalter Bahnhof, Hitlers Regierungsbahnhof. Der Tunnel zwischen Bunker und Bahnhof existiert noch, ist jedoch verschlossen. Der Umbau zum Geschichtsbunker hat 2014 begonnen. Das Museum »Deutschland 1945 bis heute« veranschaulicht den Wiederaufbau aus den Trümmern und führt bis in die Gegenwart. Im Bunker befindet sich auch eine Buchhandlung des hauseigenen Verlags. Sonderausstellungen zur Ukraine dokumentieren das Engagement des Berlin Story Bunkers im Zusammenhang der aktuellen Kriegssituation.
Berliner Unterwelten
Spuren im Untergrund
Nur wenige Bunker stehen heute unter Denkmalschutz, darunter alle Anlagen, die der Verein Berliner Unterwelten betreut. Der Verein gründete sich 1997 als ein Zusammenschluss von »Unterwelten-Enthusiasten« der unterschiedlichsten Professionen und erhielt für seine Verdienste im Denkmalschutz unter anderem 2006 die »Silberne Halbkugel« – die höchste Auszeichnung in diesem Bereich. Die historischen Bauwerke werden der Öffentlichkeit in täglich stattfindenden Führungen in verschiedenen Sprachen, Ausstellungen, Bildungsseminaren und Sonderveranstaltungen zugänglich gemacht. Durch die Touren und die Dauerausstellung »Hitlers Pläne für Berlin: Mythos Germania« wird die Berliner Zeitgeschichte an authentischen Orten begehbar und dank themenspezifischer Exponate kompetent vermittelt. Ein Besuch bei den Berliner Unterwelten ist besonders für Schulklassen ein attraktives Ausflugs- und Bildungsangebot. Ein Großteil der Anlagen – vom ersten U-Bahntunnel Deutschlands der AEG über verschiedene Luftschutzbunker bis hin zu einer Mehrzweckanlage aus der Zeit des Kalten Krieges – befindet sich am S- und U-Bahnhof Gesundbrunnen. Seit 2023 gibt es auch Führungen durch die Bunker- und Tunnelanlage unter der Dresdener Straße. Unweit davon befindet sich der Fichtebunker, ein ehemaliger Gasometer zur Speicherung von Stadtgas für die Straßenbeleuchtung, der im Zweiten Weltkrieg zu einem Mutter-Kind-Bunker umgebaut und in der Nachkriegszeit als Lager der Senatsreserve genutzt wurde. Wie sehr politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen ihre Spuren in einer Großstadt hinterlassen können, wird nicht zuletzt im Untergrund sichtbar. Beide Bauwerke zeigen wie kaum andere die wechselseitige und zum Teil düstere Geschichte Berlins von der Industrialisierung bis zum Fall der Berliner Mauer. Seit mehr als 25 Jahren erforscht und dokumentiert der Verein Berliner Unterwelten historische vorwiegend unterirdische Bauwerke und tritt für deren Erhalt, Unterschutzstellung und Zugänglichkeit ein. Die Veranstaltungen, Ausstellungen, Publikationen, Gedenk- und Informationstafeln laden ein, sich mit der Geschichte, insbesondere der Industrialisierung, des Zweiten Weltkrieges und des Kalten Krieges, auseinanderzusetzen. Alle Aktivitäten werden in Eigenleistung und durch ehrenamtliches Engagement der Mitglieder ermöglicht.
Text: Dietmar Arnold (Vorsitzender), Eva Westphal, Verein Berliner Unterwelten
Fichtebunker
Treibende Zwischentöne
Vor dem runden Backsteinbau, überspannt von einer »Schwedlerkuppel«, lässt sich dessen Größe, eine gigantische Infrastruktur bloß erahnen. Im Zweiten Weltkrieg wurde der 1876 errichtete Gasometer von den Nazis zum Vorzeige-Luftschutzbunker umfunktioniert. Dieser verfügte über 770 Räume, Terrazzoböden wie verstärkte Wände aus Stahlbeton. Nach Nutzungen als US-Militärgefängnis, Obdachlosenheim und Vorratsspeicher folgten Jahre des Leerstands. Heute umweht den Fichtebunker, erworben von den Betreibern des Kulturquartiers »silent green« und Partnern, Aufbruchstimmung. 400 der insgesamt 8000 Quadratmeter werden seit 2023 von der Galerie Ebensperger bespielt, die unter anderem zuvor im Krematorium Wedding knapp zehn Jahre mit ausgestellter Cross-Media-Kunst von Benjamin Heisenberg oder Bjørn Melhus für Aufsehen sorgte. Heimelig wurde es im Bunker, als amerikanische TV-Moderatoren in einer eindrücklichen Arbeit von Heiner Franzen zum diesjährigen Berliner Gallery Weekend sprachlos im Video-Loop über die Gänge flimmerten, und Harry Hachmeister im Erdgeschoss »Selbstporträt mit Hausschuhen« präsentierte. Urbane »Lost Spaces« wiederzubeleben und künstlerisch im Takt eines »Offbeats« zu erschließen, hat sich der Galerist zum Prinzip erhoben.
Schwerbelastungskörper
Mahnendes Relikt des Größenwahns
21 Meter Durchmesser, 12.000 Tonnen schwer, 14 Meter in die Höhe und 18 Meter in die Tiefe reichend – der Schwerbelastungskörper ist zwar kein Schutzbau, aber ein bedeutendes Zeugnis der nationalsozialistischen Stadtplanung, bei der Adolf Hitler und Albert Speer gigantomanische Konzepte für den Umbau Berlins zur »Welthauptstadt Germania« entwickelten. Mit dem 1941 errichteten Bauwerk sollte die Tragfähigkeit des Baugrundes für einen Monumentalbau auf der Nord-Süd-Achse geprüft werden. Dafür schufteten französische Zwangsarbeiter, doch die mit sieben Kilometer Länge geplante Prachtstraße wurde niemals realisiert. Weil der zylindrische Betonklotz zu dicht am Wohngebiet lag, war eine Sprengung nach dem Zweiten Weltkrieg unmöglich. Im Jahr 2009 wurde er der Öffentlichkeit übergeben, Eigentümer ist der Bezirk Tempelhof-Schöneberg. In dem Informationsort sind die städtebaulichen Dimensionen der damaligen Planungen von einer Aussichtsplattform nachzuvollziehen. Für Seminare und Jugendprojekte steht ein Pavillon zur Verfügung. Von Zeit zu Zeit laufen auch Sonderausstellungen.